Gesellschaft, Staat, Adel und vormaliges Königshaus: Die alten Eliten als Stützen der Demokratie in Bayern?

Am 2. März 2023 hielt Prof. Dieter Weiß in der Reihe des Bayerischen Hauptstaatsarchivs „Demokratie im Abwehrmodus. Bayern im Krisenjahr 1923“ einen Vortrag über das bayerische Königshaus und Kronprinz Rupprecht. Anlaß für den Termin war die 100jährige Wiederkehr der Errichtung des Wittelsbacher Ausgleichsfonds (WAF) durch den Bayerischen Landtag am 9. März 1923.

Monarchie oder Republik

Eingangs betonte Prof. Weiß, daß König Ludwig III. Bayern bereits am 2. November 1918 in eine parlamentarische Monarchie mit Frauen- und Verhältniswahlrecht umgewandelt habe. Den Bezugspunkt für monarchistische Bestrebungen in der Zwischenkriegszeit in Bayern bildete diese Verfassungsform. Nach der Revolution vom 7./8. November sanktionierte Ludwig III. die Entwicklung des fortbestehenden bayerischen Staates, indem er zwar nicht auf den Thron verzichtete, aber mit der im Schloß Anif bei Salzburg unterschriebenen Erklärung vom 13. November den Treueid der Beamten und Soldaten auflöste. Sein ältester Sohn Kronprinz Rupprecht protestierte am 10. November gegen die ohne Volksbefragung erfolgte politische Umwälzung in Bayern und forderte die Entscheidung über die Staatsform durch „eine verfassunggebende Nationalversammlung …, die aus freien und allgemeinen Wahlen hervorgeht“. Damit akzeptierte er eine demokratische Mehrheitsentscheidung als Legitimitätsgrundlage.

Im November 1918 hatte die Monarchie keine Verteidiger gefunden, in den folgenden Monaten kämpften die bürgerlichen Kräfte gemeinsam mit der sozialdemokratisch geführten Staatsregierung gegen die Räterepublik. Trotz ihrer Wahlerfolge waren die führenden Vertreter der katholisch geprägten BVP nach dem Ausscheiden der SPD im Jahr 1920 aus der bayerischen Regierung nicht bereit, selbst Verantwortung zu übernehmen, weshalb bis 1924 die sogenannten „Beamtenministerpräsidenten“ regierten. Freikorps und Einwohnerwehren wie der Bund „Bayern und Reich“ gewannen an politischem Einfluß. Kronprinz Rupprecht lehnte Separatismus und eine politische Abhängigkeit von Frankreich in Rheinbundformen wie jede Form eines Putsches ab. Das nachrevolutionäre München bot aber den Boden für den Aufstieg rechtsextrem-völkischer Kreise.

Mit dem Tod König Ludwigs III. am 18. Oktober 1921 auf seinem ungarischen Gut Sárvár wurde Kronprinz Rupprecht zum Thronprätendenten. Die Beisetzung des Königspaares am 5. November in München gestaltete Gustav von Kahr, nach seinem Rücktritt als Ministerpräsident Regierungspräsident von Oberbayern, mit der Übernahme der Formen aus der Monarchie, aber auch mit der Teilnahme von Staatsregierung und Landtag zu einer machtvollen Kundgebung. Kronprinz Rupprecht widerstrebte es, den Tod seines Vaters und die Trauer des Volkes zu einem Gewaltstreich auszunützen. Nach der Beisetzung ließ er eine Erklärung veröffentlichen, mit der an seinen Thronansprüchen festhielt „Eingetreten in die Rechte meines Herrn Vaters“, aber die Krone nur auf verfassungsgemäßem Weg übernehmen wollte.

Die Stiftung des Wittelsbacher Ausgleichsfonds

Die finanzielle Situation des Kronprinzen war höchst prekär, die vermögensrechtlichen Leistungen des Staates an den König und das Haus Bayern waren am 1. Dezember 1918 ohne gesetzliche Grundlage eingestellt worden. Bereits die Regierung Kurt Eisner setzte eine Kommission zu Verhandlungen über die Entschädigung für das vormalige Königshaus ein. Juristische, historische und politische Probleme verquickten sich dabei. Die juristischen Grundlagen für die Verhandlungen lieferte im Auftrag der Wittelsbacher der Staatsrechtler Professor Dr. Konrad Beyerle. Gestützt auf die Garantie der Weimarer Reichsverfassung für erworbene Rechte erklärte er, daß die Revolution zwar die Herrscherstellung König Ludwigs III. vernichtet habe, daß aber die übrigen Rechte wie die Ansprüche auf die Zivilliste und die Apanagen fortbestünden. Deshalb müsse der Staat den angemessenen Unterhalt der Mitglieder des vormaligen Königshauses garantieren. Auch der Freistaat ließ seine Verhandlungsposition durch Rechtsgutachten untermauern, die grundsätzlich die Versorgungsansprüche der Wittelsbacher anerkannten.

Nach längeren Verhandlungen schlossen die Beauftragten Kronprinz Rupprechts und des Königshauses am 24. Januar 1923 mit Finanzminister Dr. Wilhelm Krausneck ein Übereinkommen. Es sah die Bildung des WAF als Stiftung öffentlichen Rechts vor, dem der Staat Immobilien und Geld überweisen sollte. Der Stiftungszweck ist sowohl der Erhalt des kulturellen Erbes wie die Versorgung der Angehörigen des Hauses. Immobilien aus unterschiedlichen Rechtsformen wurden dem WAF übertragen. Der Staat verpflichtete sich gleichzeitig im Wert entsprechend, 40 Millionen Mark Kapital in den Fonds einzubringen, das allerdings sofort durch die Inflation des Jahres 1923 aufgezehrt wurde. Am 3. Februar genehmigte die Staatsregierung das Übereinkommen und goß es in Gesetzesform. Die Regierungsvorlage wurde am 9. März mit 92 Stimmen von der Landtagsmehrheit angenommen, 26 Sozialdemokarten und Kommunisten stimmten dagegen. Damit war in Bayern eine gütliche Übereinkunft getroffen worden, die keine neuen Wunden schlug und stabilisierend auf die politischen Verhältnisse wirkte.

Der zweite große Komplex des Vertrags betrifft den umfangreichen Kunstbesitz der Wittelsbacher, um deren Sammlungen von Weltgeltung auf Dauer für Bayern zu erhalten. Kronprinz Rupprecht übertrug die vor 1804 für den Hausbesitz erworbenen Kunstwerke an die neu errichtete „Wittelsbacher Landesstiftung für Kunst und Wissenschaft“, welche diese weiter in den staatlichen Museen ausstellte. Er war als Oberhaupt des Hauses auch im Besitz des Hausfideikommisses König Ludwigs I. für die nach 1804 erworbenen Kunstwerke. Dazu gehören die größten Teile der Bestände der Glyptothek, die Sammlungen Boisserée und Wallerstein sowie weitere zentrale Werke in den Pinakotheken, Objekte im Bayerischen Nationalmuseum, im damaligen Völkerkundemuseum und in den staatlich gewordenen Schlössern. Rupprecht übergab diese jüngeren Kunstsammlungen an den WAF und knüpfte dies an die Bedingung der öffentlichen Besichtigung, also die Ausstellung in einem Museum.

Nach der Sicherung der wirtschaftlichen Verhältnisse mit der Errichtung des WAF verbesserten sich die Lebensumstände des Kronprinzenpaares. 1923 bezog er seine Stadtwohnung im Leuchtenberg-Palais in München, wo er den Sitz seiner Verwaltung einrichtete. Dies bot die Voraussetzung dafür, daß er verstärkt repräsentative Aufgaben übernehmen konnte.

Das Krisenjahr 1923

Allerdings wurde diese Entwicklung durch die Krisenphänomene des Jahres 1923 überlagert: der sogenannte Ruhrkampf, die Inflation und die steigende Arbeitslosigkeit verschafften radikalen Kräften immer stärkeren Einfluß. Im Februar 1923 versuchte der BVP-Fraktionsvorsitzende Heinrich Held vergeblich, Kronprinz Rupprecht für eine Wahl zum bayerischen Staatspräsidenten zu gewinnen. Nachdem die Reichsregierung im September den passiven Widerstand gegen die französische Besatzung im Ruhrgebiet aufgegeben hatte, drohte die Situation in Bayern wegen der Erbitterung darüber in den nationalistischen Kreisen zu eskalieren. Zur Beruhigung der Lage in Bayern verfielen der Kronprinz und Held auf die Idee, Gustav von Kahr als Generalstaatskommissar einzusetzen. Dieser sollte wegen seines Einflusses auf die Vaterländischen Verbände ein Gegengewicht zu den ultranationalistischen Kreisen um General Ludendorff bilden. Am 26. September verkündete die Staatsregierung den Ausnahmezustand und übertrug Gustav von Kahr die vollziehende Gewalt in Bayern. Neben dem Staatsapparat konnte dieser sich auf das Vertrauen des Kronprinzen und des Bundes Bayern und Reich stützen. Als eine seiner ersten Maßnahmen ließ er die von Adolf Hitler für den 27. September anberaumten 14 Massenversammlungen gegen die „Ruhrverräter“ verbieten. Kronprinz Rupprecht bemühte sich, die Staatsmacht gegen Putschversuche zu festigen, und befahl allen bayerischen Offizieren „eingedenk ihres Fahneneides“ die Unterstützung Kahrs und des Landeskommandanten General Otto von Lossow.

Nach der Einsetzung Kahrs verkündete die Reichsregierung ihrerseits den Ausnahmezustand für das ganze Reich. In Bayern bestanden damit zwei Ausnahmezustände nebeneinander, woraus sich ein schwerer Konflikt mit dem Reich entwickelte. Der Kronprinz drängte Kahr zu einer stärkeren Ausnutzung seiner Vollmachten, um eine Besserung auf wirtschaftlichem Gebiet zu erreichen und den radikalen Kräften den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er war nicht in den Putschversuch vom 8./9. November verwickelt, sondern hielt sich damals in Berchtesgaden auf. Noch am 9. November erreichten ihn dort verschiedene Emissäre aus München. Nach der Unterredung mit dem Gesandten Kahrs unterzeichnete er eine Erklärung „Darum die Waffen nieder!“, im Übrigen rief er zur Einigkeit der vaterländischen Kräfte auf. Er dankte Kahr, General von Lossow und dem Polizei-Oberst Hans Ritter von Seisser, daß sie durch ihre Handlungsweise und die Unterdrückung des Aufstandes „Bayern und ganz Deutschland vor unsäglichem Unheil bewahrt haben“. Die Ereignisse um den Hitlerputsch bildeten den Katalysator für das Verhältnis des konservativen und bayerischen Lagers zur Bewegung des Nationalsozialismus, die sich endgültig als Gegner begriffen.

Der bayerische Adel

Neben dem Königshaus kann man den Adel zu den alten Eliten zählen. Für eine genauere Unterscheidung müßte man nach ständischer Qualität – standesherrlicher Adel, Hofadel, Verdienstadel –, Konfession und Besitz differenzieren. Die adeligen Standesorganisationen konzentrierten sich auf die Vertretung ihrer eigenen Interessen, der unmittelbare Einsatz für übergeordnete politische Ziele oder die monarchische Staatsform stand dabei nicht im Vordergrund. Die zentrale Interessensvertretung des über Großgrundbesitz verfügenden Adels bildete der Verein für den gebundenen Grundbesitz in Bayern. Den bayerischen Adel einte zwar das grundsätzliche Bekenntnis zur Monarchie und zum König und später Thronprätendenten, doch engagierten sich nur einzelne Aristokraten wie die Freiherren Erwein von Aretin und Enoch zu Guttenberg aktiv für den monarchischen Gedanken. Da die Tradition ein wesentliches Element der Legitimität einer Monarchie bildet, ist eine Restauration nach dem Traditionsbruch einer Revolution nur schwer durchzusetzen. Der bayerische Adel war an geordneten politischen Verhältnissen und Rechtsstaatlichkeit interessiert.

Die Haltung zum Freistaat Bayern

Kronprinz Rupprecht verfügte als präsumtiver Erbe der Krone und bayerischer Generalfeldmarschall nicht über konkrete Macht, aber über erhebliches symbolisches Kapital. Seine Möglichkeiten, auf die Tagespolitik einzuwirken, blieben von der individuellen Haltung der politischen Verantwortungsträger abhängig. Ab 1924 beruhigten sich die politischen Verhältnisse allmählich, was mit einem wirtschaftlichen Aufschwung einherging. Rupprecht verhielt sich in der Art eines überparteilichen Monarchen und repräsentierte bei zahlreichen Versammlungen nicht nur von Patrioten- und Kriegervereinen in ganz Bayern. Den Fixpunkt seines politischen Denkens, an denen er die Parteien und Verbände maß, bildete das Eintreten für die Souveränität Bayerns. Er plädierte für eine Neuordnung Deutschlands auf föderalistischer Grundlage, wobei ihm das Bismarck-Reich als Modell vorschwebte.

Insgesamt war seinen politischen Bemühungen in der Zwischenkriegszeit kein unmittelbarer Erfolg beschieden. Immerhin konnte er aber verschiedene Putschabsichten verhindern. Durch sein unbedingtes Festhalten an Rechtsstaatlichkeit und Verfassung trug er zur Aussöhnung der in der Monarchie aufgewachsenen Teile der bayerischen Bevölkerung und zur Stabilisierung des Freistaats bei. Für weite Kreise der Bevölkerung wirkte er so als Identifikationsfigur, die in der schweren Not von Nachkriegszeit und Inflation Halt und Orientierung bot. Die Regierung als König wollte er nur antreten, wenn dies von der Mehrheit der Bevölkerung gewünscht würde, wovon er freilich überzeugt war. Die Legitimation für das Königtum lag für ihn in seinen Leistungen für den Staat. Mit der Einrichtung des WAF konnte er eine bescheidene Hofhaltung etablieren und war damit in der Lage, repräsentative Aufgaben wahrzunehmen. Nun war ein Weg gefunden, der es ihm und den übrigen Angehörigen des Königshauses ermöglichte, durch ihre Präsenz in der Öffentlichkeit bei der Beruhigung der politischen Verhältnisse mitzuwirken. Seine politischen Grundsätze waren vom unbedingten Willen zum Föderalismus und zur Rechtsstaatlichkeit bestimmt.

Alle Vorträge dieser Reihe können über den Youtube-Kanal des Bayerischen Hauptstaatsarchiv gehört und gesehen werden: https://www.youtube.com/watch?v=JWF9AKQWPLs

Dieter J. Weiß

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